Klassische Panoramen und Bilder aus der Cottbuser Stadtgeschichte
Scheuerecker macht Kunst, oder: Ein außergewöhnlicher Tag für Cottbus
Es gibt Tage, da scheinen sich die Laufwege verschiedener Veranstaltungen an einem Punkt zu vereinigen. So geschehen an 26. Mai 2000. Der Brennpunkt hieß an diesem Tag Brandenburger Platz. Am südlichen Ende der Spremberger Straße wurde der gleichnamige Turm saniert und dieser sollte einen Glockenturm mit Glocke auf das Dach bekommen. Für den frisch gegründeten Turmverein ein Anlass, diesen Tag zu zelebrieren. Es sammelten sich rund 200 Schaulustige, um einen mobilen Getränkeausschank und fieberten den großen Moment der Glockenturm-Montage entgegen.
Der stark mitgenomende Glockenstuhl wurde am 15.März 2000 um 10:17 Uhr von der Kranfirma Lissina aus Groß Oßnig heruntergehoben. Über zwei Monate wurde das Glockengestell in der Vetschauer Metallbaufirma Kuhia erneuert. Der Herr der Cottbuser Uhren, Karl-Heinz Schlodder aus Kolkwitz übernahm die Restaurierung der Zifferblätter und der Zeiger der Uhren. Nun konnte, alles erneuert, wieder an seinen Platz. Schlodder, dem gerade der Spremberger Turm seit vielen Jahren am Herzen liegt, rief beim Anblick der Arbeiten aus: "Ich hätte es mir kaum träumen lassen noch zu erleben, dass an diesem Turm etwas gemacht wird."
Das zweite Event war an die Aktion "ein Glockengestühl für den Spremberger Turm" anknüpfend. Hans Scheuerecker, stadbekannter universeller Künstler, Lebemann und Stifter, nutzte die Bühne Brandenburger Platz, um öffentlich ein, im wahrsten Sinne des Wortes, ganz großes Werk zu erschaffen. Scheuerecker hatte vor, das Baugerüst am Spremberger Turm auf der Sichtseite mit einer großen und gestalteten Plane zu versehen.
Ich weiß nicht wie Hans Scheuerecker sein Event geplant hat, was er damit erreichen wollte. Aber im Umfeld der Aktion passierte etwas. Während der Meister ruhig und bedächtig den einen und anderen Strich auf die beiden insgesamt 130 Qudratmter großen Planen setzte, wirbelten seine drei Assistentinnen eifrig unter seiner Regie herum. Unterdessen füllte sich der Brandenburger Platz unmerklich mit Zaungästen und genau diese erweckten mein Interesse. Die Leute schauten auf das Schaffen, teils sichtlich verwirrt, teils ungläubig aber auch angestrengt, um irgendeine Deutung des entstehenden Bildes zu erlangen. Die Blicke der Zuschauer gingen immer häufiger zum (wildfremden) Nachbarn (Hatte der was verstanden?) und dann lächelte man sich gemeinsam an. Köstlich. Ich habe noch nie auf dem Brandenburger Platz so viele Cottbuser sich anlächeln sehen. Zumal deren Zahl immer größer wurde und das hing wiederum mit dem dritten Event zusammen, welches Cottbus an diesen Tag erleben durfte. Es war DER Tag an dem der FC Energie Cottbus das entscheidende Spiel für den Aufstieg in die 1. Bundesliga absolvierte. Dazu war der Stadtring komplett gesperrt worden, so das alle Fans auf dem Weg ins Stadion am Brandenburger Platz vorbei mussten, vorbei an Scheuereckers Kunst. So kam es zu den herrlichen Bildern, das sich ein aufgeladener Energie-Fan an seinen Plastebecher mit Bier festhielt (wir erinnern uns an den oben erwähnten mobilen Getränkestand) und auf der anderen Seite der Künstler, hin und wieder an einem Gläschen Wein nippend, gelassena agierte - eine sicherlich klischeehafte, aber herrliche Situation. Zudem dürfte Hans Scheuerecker der Künstler in Cottbus sein, der die meisten Zuschauer bei einer Performance wie dieser hatte: fast ein ganzes Stadion voll. Egal wie man zu der Kunst Scheuereckers steht, mir blieben die vielen lächelnen Gesichter auf dem Brandenburger Platz in Erinnerung - Kunst macht eben doch etwas mit den Menschen...
Beim 2. Kulturfest im Dieselkraftwerk am l. Juli 2000 wurde das geschaffene Werk Scheuereckers in 1 Quadratmeter große Stücke zerteilt und vom Meister signiert für 780 Mark pro Stück zur Deckung der Unkosten der Aktion aber auch als Spende für die weitere Sanierung des Spremberger Turms verkauft.
Zwischenzeitlich wurden der Glockenstuhl und gegen 15:00 Uhr die beiden, 1906 in Apolda gegossenen Bronze-Glocken auf das Dach des "Dicken" gehoben, wie die nachfolgenden Bilder zeigen.
Letztendlich muss ich noch dem dritten Event an diesem Tage ein paar Zeilen widmen, zumal gerade diese Sportveranstaltung eine Menge für das Cottbuser Selbstwertgefühl machte. Der FCE lag vor dem alles entscheidenden Spiel auf Platz 3 der 2. Bundesliga, vor ihm (schon aufgestiegen) der 1. FC Köln und VfL Bochum. Dahinter die Mitbewerber um den Aufstieg: Borussia Mönchengladbach und 1. FC Nürnberg. Gespielt wurde gegen den Tabellenführer und das Wunder geschah: Energie gewann mit 2:0 gegen Köln und war in der 1. Bundesliga. Was nach Schlusspfiff auf dem Platz geschah, lässt sich nur schwer mit wenigen Worten beschreiben. Da lagen sich Männer, groß wie Schrankwände, in den Armen und heulten wie kleine Kinder. Man sah Fans die mit abwesend irren Gesicht die Tore demontierten und es gab viele, die ein Stück des Stadionrasens vor sich hertrugen, als wäre es ein faustgroßes Gold-Nugget. Alle waren gelöst, lagen sich in den Armen und blickten außer sich vor Freude in die Kamera. Es war der krönende Abschluss an einem Tag, der mich so viel Emotionen sehen ließ wie kaum ein anderer und so bleibt mir dieser 26.Mai 2000 für immer als der Tag in Erinnerung, an den ich die meisten Cottbuser mit Freude im Gesicht sah.
Bleibt nur noch zu zeigen, wie das Ergebnis von Scheuereckers Arbeit aussah. Am 27. Mai 2000 hatte ich die entsprechenden Aufnahmen gemacht:
Zwanzig Jahre später..
Zwischen 2000 und 2021 knisterte es in der Beziehung Cottbus und Hans Scheuerecker. 2014 konnten sich der der überregional bekannte Künstler und der zweifach dekorierte brandenburgische Kunstpreisträger auf der einen Seite und das Kunstmuseum Dieselkraftwerk auf der anderen Seite nicht über Form und Inhalt einer zugesagten Ausstellung mit Werken Scheuereckers einigen. Es Kam zum Eklat der auch medial und ebenfalls überregional seine Kreise zog. Der Schaden war für beide Seiten hoch. Anfang August 2021 hatte Scheuerecker, der inzwischen seinen Arbeitsbereich ins sächsische Dresden verlagert hatte, 70. Geburtstag zu feiern. Anlaß genug, etwas versöhnlicher im Umgang miteinander zu werden. Vor dem Schoss Branitz feierte man im Beisein des Oberbürgermeisters Holger Kelch einen nimmermüden Künstler, der zwar immer polarisiert hatte, aber nicht mehr aus dem künstlerischen Leben in Cottbus wegzudenken war. Das eingerüstete Schloss Banitz wurde mit übergroßen Werken Scheuereckers geschmückt und auf der Wiese vor dem Schloss kam man zusammen, um versönlich miteinander zu feiern.
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